Kulturpolitik / Welchen Stellenwert und Auswirkung auf
die lokale Wirtschaft hat Kultur im ländlichen Raum?
Viele profitieren von den Freilichtspielen
Meinungsaustausch mit OB Pelgrim, Intendant Biermeier,
Hotelier Dürr und Grüner Abgeordneten
"Was machen wir denn konkret anders, wenn wir nächstes
Jahr die Regierung stellen, fragte SPD-OB Hermann Josef Pelgrim die
Abgeordnete Edith Sitzmann beim politischen Meinungsaustausch anlässlich
des Besuches der kulturpolitischen Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion
bei den Haller Freilichtspielen. Edith Sitzmann blieb ihm die Antwort
nicht schuldig.
Ernst-Walter Hug
Hall. "Wir
werden vor allem eine kulturpolitische Debatte führen, "sagte
die Abgeordnete. "Kulturhoheit ist doch eines der Hauptargumente
bei der Föderalismusdebatte. Doch wann bitteschön hat das
Land Baden-Württemberg in den letzten Jahren eine kulturpolitische
Debatte außerhalb der Etatberatungen geführt?" Nicht
nur die Kulturförderung, die gesamte Kulturpolitik müsse im
Land ihrer Bedeutung entsprechend neu ausgerichtet werden.
Auch die Debatte mit Hotelier Markus Dürr, dem Grünen Bundestagskandidaten
Marcus Wewer, der Kreisvorsitzenden Jutta Parpart, Freilichtspielintendant
Christoph Biermeier und OB Hermann Josef Pelgrim zeigte auf, dass die
Bedeutung weit über den rein kulturellen Effekt hinausgeht. Festspiele
wie in Hall haben einen wirtschaftlichen Aspekt. Umweg-Rentabilität
nannte es Christoph Biermeier. Denn jeder der 60 bis 70 000 Festspielgäste
bleibe durchschnittlich 1,8 Tage in der Stadt und lasse Geld hier. Hotelier
Dürr belegte dies mit Beispielen, angefangen von 30 000 Flyern
mit Freilichtspielwerbung, die sein Haus alljährlich an Gästeadressen
verschicke bis hin zum Unternehmer, der schon seit mehreren Jahren mit
Kundengruppen nach Hall komme, hier übernachte, hier esse, den
Gästen ein Erlebniswochenende biete und nicht zuletzt mit ihnen
natürlich die Festspiele besuche: nicht nur ein-, sondern mehrmals
pro Saison.
"Nicht zu vergessen die Schauspieler und Theaterleute", die
wir drei bis vier Monate in Arbeit und Brot bringen", so Biermeier.
Das sind die Ensembles, die in den Stadt- und Staatstheatern weggespart
wurden." Festspiele wie in Hall haben also auch eine soziale Komponente.
Und eine bildungspolitische: Kinder, die mit ihren Eltern zum Kinder-
bzw. Familientheater gehen, das die Haller Freilichtspieler übrigens
völlig ohne Subventionen aus eigenem Etat bestreiten, junge Leute,
die sich am Jugendclub der Freilichtspiele beteiligen, lernen Anderes
und Wertvolleres als an TV und Computer, z.B. den Umgang mit Sprache,
bekommen einen anderen Blickwinkel auf die Dinge der Welt. Bildung ist
nicht nur Schul- und Hochschulpolitik und darf sich nicht nur darauf
beschränken
Viele Gründe also, warum Kultur und Kulturförderung nicht
wie in manch öffentlichen Diskussionsbeiträgen gefordert,
auf einige wenige 'Leuchtturm'-Projekte in den Zentren beschränkt
werden darf.
Das sei dann gut, wenn gar nichts vorhanden sei, warf OB Hermann Josef
Pelgrim in die Debatte. "Aber sind wir hier Nicaragua oder der
Tschad? Wenn Kulturpolitik in einem reichsten Länder der Welt nicht
mehr in der Fläche öffentlich unterstützend wirken kann,
ja wo denn dann?" Die Stadt Hall habe jahrzehntelang über
Abgaben von weit über 300 Millionen €uro an Bund und Land
auch die kulturellen Zentren wie Stuttgart und Karlsruhe alimentiert.
Nun, da es Hall finanziell schlecht gehe, habe es doch wohl ein Anrecht,
dass die Unterstützung auch mal anders herum funktioniere. Doch
bei vielen maßgeblichen Politikern ernte man nicht mehr als ein
Schulterzucken. Festspiele, Bildung, Kultur sollten nach anderen Finanzierungsmitteln
schauen und durch Vernetzung Synergien freisetzen, heißt es allenfalls.
Doch wenn solche Vorschläge als Ersatz für angekündigte
weitere Fördergeld-Streichungen kommen, "dann machen wir das
in Hall ja bereits." Und: auch Sponsoring stößt irgendwo
auf Grenzen. Wohin das in Konsequenz führt, kann sich im Prinzip
jeder selbst ausmalen. Biermeier machte es konkret: 10 Prozent Streichung
von der derzeitigen Landesförderung machen zwei Schauspieler oder
ein Bühnenbild weniger, zwei Zimmerwirte, oder zwei Handwerker,
die kein Geld bekommen, es also auch nicht wieder ausgeben können,
usw. Wer an der Kultur spare, schädige die Dynamik, nicht nur einer
Stadt sondern einer ganzen Region und erreiche beim geringen Anteil
der Kulturförderung am Gesamtetat eines Landes nicht einmal einen
maßgeblichen Spareffekt.
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