News aus Hohenlohe Navigation Rechts
Extra

 

Interview / Saliha Scheinhardt, Autorin von "Töchter des Euphrat" in der Stadtbibliothek

Der Schlüssel heißt Bildung

Am Beispiel ihrer Romanfigur Zilan schildert die Autorin Dr. Saliha Scheinhardt, selbst seit 1967 in Deutschland, vor dem Hintergrund des großen Euphrat-Staudamm-Projektes in Anatolien, die Probleme und Zusammenhänge, die die Emanzipation der türkischen Frau so schwierig machen, nicht nur dort, sondern auch hier im europäischen Exil. Und es sind dieselben Ursachen, mangelnde Bildung verquickt mit 'mittelalterlichen' Religions- und Moralvorstellungen, die hierzulande die Integration oft selbst noch in zweiter und dritter Generation so schwer machen. "Der Schlüssel heißt Bildung", sagte sie im Interview mit Ernst-Walter Hug

rh: Ihr Thema ist die Emanzipation die gesellschaftliche Integration der Frau in einer Gesellschaft, die das so eigentlich gar nicht vorsieht.

Saliha Scheinhardt: Welche Gesellschaft meinen Sie. Die türkische oder die deutsche? (lacht) Nein. Es ist ja so, dass die türkische Frau in den modernen Großstädten der Türkei durch aus einen gewissen Standard an Emanzipation erreicht hat. Es gibt sehr bewusste Frauen, die gebildet sind, finanziell unabhängig... das Problem sind die Frauen vom Lande, die aus Familien kommen mit traditioneller Erziehung, mangelnder Bildung und einem Rollenverständnis, das sich in Jahrhunderten nicht verändert hat. Und als sie vor vierzig Jahren nach Deutschland kamen haben sie ihre Rolle aus Anatolien nach Deutschland importiert und selbst an ihre hier geborenen Kinder weiter vermittelt.
rh: Was ist der Hemmklotz, was ist der Hinderungsgrund, dass sich da oft nicht so viel verändert hat?
Saliha Scheinhardt: Es sind zum einen die Familienstrukturen, die stark im immer noch mittelalterlichen Islam verankerte Moral... Wissen Sie, Sie hatten eine Reformation, Sie hatten ein Zeitalter der Aufklärung, lange bevor die Industrialisierung mit der modernen Gesellschaft begann. Die Türkei hatte das, in Anatolien zumindest, nicht. Die Trennung von Kirche und Staat, von Religion und Gesellschaft, die Atatürk vor 80 Jahren schon proklamierte, die ist dort bis heute noch nicht angekommen. Und so wirkt die soziale Kontrolle unter den Migranten von dort über die Gemeinde, die Moschee als ein ganz, ganz wichtiger Faktor auch hier weiter. Die manchmal skandalösen Folgen, wenn Mädchen, wenn Frauen von ihren eigenen Familien angegriffen werden, manchmal sogar mit tödlichem Ausgang, bekommt, auch die bundesrepubikanische Gesellschaft immer wieder durch die Medien vorgeführt.
rh: Die Türkei befindet sich in einem Umbruch. Sie will ihre Gesellschaft öffnen, sie will hin zu Europa, zur EU. Doch wie will eine weltliche Macht das schaffen, wenn religiöse Vorstellungen dem in Vielem entgegenstehen?
Saliha Scheinhardt: Ich kommen aus Konya, einer Hochburg des Islam in der Türkei. Und an meiner eigenen Familie kann man sehen: man kann Religion so oder so interpretieren. Ich habe es geschafft, durch harte Überzeugungsarbeit über viele Jahre klarzumachen, dass mein Weg: Schule, Deutschland, Fabrikarbeit, Studium, Wissenschaftlerin, Buchautorin, dass dieser weg weder gegen meinen Glauben noch gegen unsre Moral ist. Wenn nicht wissende, unwissende Menschen aufgeklärt werden, das Ausbildung ihrer Kinder, vielleicht oft auch ihre eigene Weiterbildung nicht im Gegensatz zu Tradition und Glauben steht, kann es funktionieren. Ausbildung ist unsere einzige Chance.
rh: Aber es erfordert Mut...
Saliha Scheinhardt: Es erfordert Mut vor allem von den Frauen auf ihrem Bildungsanspruch zu bestehen. Und es erfordert noch mehr Mut für viele - auch wenn es schon viele hunderttausend gibt - sich hinzustellen und zu sagen, ich bin Muslima, aber ich erlaube mir die Freiheit für meine Zukunft. Und ich muss mich nicht mit einem Kopftuch oder einem Körperschleier bedecken. Man kann als Frau aktives Mitglied der Gesellschaft sein und dennoch gläubige Muslima. Wersagt, dass das eine das andere ausschließt: er lügt!.
rh: In der Türkei selbst funktioniert es nur in den großen Städten.
Saliha Scheinhardt: Es gibt Bildung, es gibt Kultur, Theater, Film, Literatur, ein Geschäftsleben, da trifft sich die Welt: Sie können fünf Mal am Tag beten, wo sie gerade gehen und stehen, am Bürgersteig wenn sie wollen, und dann stehen sie auf, gehen in eine Bank und tätigen ihre Geschäfte. Auf dem Land erfahren die Menschen nicht viel davon. Da ist das alte feudale, das der Landwirtschaft verhaftete Denken stehen geblieben. Gut. Fernsehen hat etwas verändert. Aber nicht viel. Wir müssen dort die Menschen bilden. Vor allem gebildete Frauen aus türkischen Städten haben dort einen Verein gegründet, der Familien auf dem Lande unterstützt, die es finanziell nicht schaffen ihren Mädchen und Frauen eine Ausbildung zu geben. 11.000 Mädchen,, die ohne den Verein keine Chance gehabt hätten, sind so mittlerweile zu einer Ausbildung gekommen. Das sind 11.000 zukünftige Familien, die nicht mehr so 'eng im Denken' sind. Und das heißt viel in einem Land, in dem nach offiziellen Zahlen immer noch 15 bis 20 Prozent insgesamt Analphabeten sind.
rh: Für erfolgreiche Emanzipation, erfolgreiche Integration in moderne Gesellschaften, ob hier oder in der Türkei selbst ist als Bildung das A und O, der Schlüssel zu allem?.
Saliha Scheinhardt: Ja! Unbedingt.

 

 

©  product verlag img.eMaileMail an Redaktion