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Pferde / Damit Tierärzte nicht auf Schätzungen angewiesen sind

Mobile Pferdewaage im Reiterhof

Manfred Müller aus Jagstzell füllte echte Marktlücke

Sie ist knapp zwei Meter lang, flach, zusammenklappbar und passt zusammen mit dem Computerequipment in einem Aluminiumkoffer in jeden handelsüblichen Kleinwagen: die mobile Pferdewaage des Manfred Müller aus Jagstzell. Er hat sich seine Erfindung europaweit patentieren lassen und daraus eine hauptberufliche Erfolgsgeschichte gemacht.

Ernst-Walter Hug

Rosengarten. Vergangenes Wochenende hatte Manfred Müller Wiegetermin beim Reiterhof Wilhelmsglück. Fast alle privaten Pferdebesitzer, die ihre Tiere dort untergestellt haben, nutzten die Gelegenheit, mehr über ihr Pferd zu erfahren. Denn mit dem Wiegen allein ist es bei Manfred Müller nicht getan.
"Doch genau damit hat es eigentlich begonnen", erzählt Manfred Müller von seiner Frau Ingrid, die als aktive Reiterin, "das war 1999, eines Tages wissen wollte, wie schwer ihr Pferd eigentlich ist". Ein möglicherweise nervöses Reitpferd auf eine wacklige Viehwaage zu bringen ist aber ein nahezu unmögliches Unterfangen. Deshalb schätzen die meisten Tierärzte auch das Gewicht ihrer Patienten nur, wobei das Gewicht bei vielen Medikamenten, aber auch bei Wurmkuren, von entscheidender Bedeutung für die Mengenberechnung ist.

Passt in jeden Kleinwagen, die mobile Pferdewaageunter der braunen Decke, die mittlerweile europaweit zum Einsatzkommt. Hier Nikolaus Borst mit seiner 548 Kilogramm schweren Stute Romana, die mit einem BCS-Wert von 5 zu den gesündesten Pferden gehört. Foto: pv

Aber auch beim Transport, wenn edle Tiere etwa zu Turnieren als "Fracht" verschickt werden, leistet die digitale Waage mit ihrer druckempfindlichen Quarzwiegezelle gute Dienste. Denn "selbst ich verschätze mich bei den Pferden bis heute noch, obwohl ich bei jedem Termin 20 bis 30 Tiere auf der Waage habe", sagt Manfred Müller. Und genauso geht es den Pferdebesitzern selbst oder den Fachleuten vom Personal des Reiterhofes. Selbst bei ihrem eigenen Haus- und Hof-Pferd "Weathergirl" lagen Erwin Bauer und Martina Fechter-Bauer "etwas" daneben.
Manfred Müller misst zudem mit einer einfachen Schiebelehre an einer bestimmten Stelle des Pferdehalses, wenn der Kopf gesenkt ist (ach wie geschickt, dass auch Pferde Leckerlies mögen) die Dicke der Fettschicht unter der Haut. Zusammen mit weiteren Merkmalen, etwa fühlbaren Rippen oder Fettansammlung am Schweifansatz errechnet er daraus einen dem menschlichen Body-Mass-Index vergleichbaren Wert, den Body-Condition-Score, ein System, das von Tiermedizinern entwickelt wurde.
Über einen großen Artikel in der Pferdezeitschrift Cavallo - seitdem gab es über die Pferdewaage mehr als 200 Seiten Veröffentlichungen, dazu Fernsehauftritte von ZDF bis Vox - bekam er Kontakt zu Professorin Ellen Kienzle an der Uni München, die sehr interessiert an der Waage war, ermöglichte Manfred Müllers Erfindung doch erstmals, regelrechte "Reihenuntersuchungen" zum Gewicht und Gesundheitszustand der Pferde zu veranstalten. "Nicht selten bin ich seitdem auf Gestüten in der ganzen Republik unterwegs, um alle Pferde durchzumessen," erzählt Manfred Müller. Doch alleine bewältigt er das Geschäft gar nicht mehr. So hat er für jedes Bundesland genau eine Lizenz für sein Gerät vergeben. Und die Universität hat ihm mittlerweile schon vier Doktorantinnen geschickt. Die jüngste, Kirsten Gasser, lebt in Frankreich, schreibt dort an ihrer Arbeit mit dem Ziel das Optimalgewicht eines Pferdes, nach Rasse, Geschlecht und Nutzungsart der Tiere festzulegen. 45.000 Messungen, die Müller bislang in seinem System gespeichert hat, überließ er der Doktorantin dafür.
Und nicht nur europaweit interessiert man sich für Manfred Müllers Erfindung. Die jüngste Anfrage kam aus Dubai, erzählt der Tüftler, der vorher bei einem großen Crailsheimer Betrieb als technischer Kaufmann gearbeitet hatte. Die ersten zwei Jahre nach Entwicklung seiner Waage - die Software dafür hatte ihm ein versierter Bekannter geschrieben - hatte er die Wiegerei als Nebenjob an den Wochenenden betrieben. Da kamen im ersten Jahr schon 70.000 Kilometer Fahrstrecke zusammen. So war die Entscheidung, sich mit der Erfindung selbstständig zu machen, relativ leicht. Und es ist mittlerweile ein "Full-Time-Job", sagt Manfred Müller, "vom Wiegen selbst, auf den Reiterhöfen wie hier, meist an den Wochenenden, in den Gestüten durchaus auch mal unter der Woche, über das Kaufmännische und das Wissenschaftliche bis hin zu Marketing und Interviews wie jetzt mit Ihnen." Und wann kommt er, der sich so intensiv und leidenschaftlich mit Pferden beschäftigt, mal selbst zum Reiten?
"Gar nicht", sagt er und lacht. "Ich bin bekennender Nicht-Reiter."

 

 

 

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