Nahverkehr / Statt Zehnerkarten jetzt die elektronische
Fahrkarte
Dieser Kolibri saugt keinen Nektar
KolibriCard registriert wer,
wann, wo, wielange
fährt und präsentiert die Rechnung hinterher
Kolibri heißt das neue Kartensystem im Öffentlichen
Personenverkehr, das kürzlich im Haller Landkreis bundesweit erstmals
eingeführt wurde. "Das große Los", wirbt die "KreisVerkehr
GmbH": bargeld-los, grenzen-los und sorgen-los. Aber stimmt das
wirklich?
Ernst-Walter Hug
Landkreis Hall.
Kommen Sie mal einer Oma, die sich schon seit Jahren über immer
mehr englische Begriffe in unserer Alltagssprache aufregt nun auch noch
mit Check in - Check out (CICO) und erklären Sie ihr, dass sie
für ihre paar Fahrten zum Waldfriedhof im Jahr keine Zehnerkarte
mehr kaufen kann, sondern sich Geld von ihrem Konto automatisch abbuchen
lassen muss für eine KolibriCard. Kolibri? Das ist doch ein Vogel
aus dem Dschungel wird sie denken. Und mit all dem fremdartigen Computerzeug,
da denkt sie auch an Dschungel. Mit Müh und Not hat sie vor Jahren
noch gelernt, in der Bank die richtigen Knöpfe am Automaten zu
drücken, um wenigstens an ihre Rente zu kommen, die sie immer vollständig
auf einmal abhebt, damit sie die Knöpfe nur einmal im Monat drücken
muss. Und dass die Busgesellschaft nun auch noch automatisch auf ihr
Konto zugreifen will, auf dem sowieso kaum mal Geld ist, das gefällt
ihr gar nicht. Also schreckt sie erst mal zurück und kauft sich
die teureren Einzelfahrscheine. Das Grab ihres Mannes besucht sie nun
halt nur noch alle drei Wochen statt alle 14 Tage.
Foto: KreisVerkehr Schwäbisch Hall
"KolibriCard Die kleine Karte für das
große Los", wirbt die "Haller KreisVerkehr" mit
einer extra Internetseite (www.kolibricard.de). Das große
Los heißt: bargeld-los: oder Bargeld los? Jedenfalls werden künftig
alle Fahrten elektronisch vom Konto abgebucht. Nein, nicht direkt vom
Bankkonto, das wäre bei den Buchungsgebühren der Banken zu
teuer, sondern von einem extra Konto bei der "KreisVerkehr",
das man vorher einrichten muss. Das große Los heißt auch
grenzen-los: innerhalb der Grenzen des KreisVerkehr-Bereiches, zunächst
mal. Und angeblich bedeutet das große Los auch sorgen-los: Oma
macht sich aber Sorgen. Und Frau X, die nur mal eben für drei Wochen
an einem Seminar in Wolpertshausen teilnimmt und keine Zehnerkarte mehr
bekommt. Und Herr Y, der Altsponti, der nicht mal ein Handy sein Eigen
nennt, weil man da ja ständig feststellen könnte, wo er gerade
ist, bzw. zu einem bestimmten Zeitpunkt gewesen ist. Er hat Sorge wegen
möglicher Bewegungsprofile, die jemand erstellen könnte. Nicht
dass dies jemand täte. Ihm reicht die Möglichkeit. Was ist
dagegen schon: Nie wieder Kleingeldsuche, keine lange Wartezeiten vor
dem Fahrkartenschalter und volle Kostenkontrolle durch die detaillierte
Aufstellung.
Das ist es ja: volle Kontrolle. Herr Y will sich nicht kontrolliert
wissen. Oh, natürlich hat er im Internet die Datenschutzbestimmungen
gelesen. Doch Bankdaten waren auch mal streng vertraulich. Und wer kann
heute schon alles drauf zugreifen? Die Zusicherung: "Die KreisVerkehr
Schwäbisch Hall GmbH wird Ihre personenbezogenen Daten weder an
Dritte verkaufen noch anderweitig vermarkten," schützt nicht
vor gesetzlich geregeltem Zugriff. Nicht dass Herr Y etwas zu befürchten
hätte, aber da fährt er doch lieber nicht mit dem Bus und
benutzt sein Fahrrad.
CICO im Bus (und auf den Bahnsteigen des Landkreises) funktioniert so:
1. Check-In: Bei jedem Einstieg in einen Bus, die Bahn, hält man
seine KolibriCard an eine markierte Stelle des Terminals. Man wartet
eine Millisekunde auf das grüne Licht und den Piepston und ist
eingecheckt: (für die Oma: das heißt, der Automat hat sich
gemerkt, dass man an der Haltestelle xy-Weg, um eine bestimmte Uhrzeit
in einen ganz bestimmten Bus eingestiegen ist) Die Karte ist nun im
zentralen Computer aktiviert, man hat mit dieser Karte eine Fahrtberechtigung
erworben. 2. Check-Out: Am besten ist, man hält seine KolibriCard
während der gesamten Fahrt krampfhaft in der Hand (tatsächlich
ist dies in Bussen zu beobachten), denn man braucht sie ja beim Aussteigen
nochmal. Einfach so aus dem Bus stürmen, das geht nicht mehr. Auch
in proppevollen Bussen, wo noch zwei Leute vor dem Kontrollgerät
stehen, muss man auschecken. (Für die Oma: das heißt, der
Computer muss registrieren, dass man an der Haltestelle beim Waldfriedhof
wieder ausgestiegen ist.) Und wieder muss man die Millisekunde warten,
bis das grüne Licht kommt und der Piepston ertönt. Und wehe
der Einzel-Zahler dahinter schiebt einen im Gedränge einfach vorher
aus dem Bus. Die Karte bleibt registriert und die Fahrt wird bis zur
Endstation der Linie weiterberechnet und entsprechend vom Konto abgezogen.
Da geht der 15 €uro-Kontostand schnell gegen Null. Nein: Auf Null
kann er ja gar nicht kommen, denn beim Antrag unterschreibt man gleich
mit, dass der KreisVerkehr berechtigt ist, immer wieder Geld vom Bankkonto
abzuziehen, automatisch und jedesmal, wenn das Kolibri-Konto unter 5
€uro sinkt. Noch so ein großes Los. Was, man ist arbeits-los,
musste schon sein Auto abschaffen und die Bank lässt auf dem Konto
keine Abbuchungsermächtigungen mehr zu? Man kauft, wie die Oma,
die 25 Prozent teureren Einzelfahrscheine oder geht künftig zu
Fuß.
Von Schwäbisch Hall (und neun weiteren großen Projekten in
ganz Deutschland ausgehend) wird die KolibriCard sich bis zum Jahr 2010
über die gesamte Republik ausbreiten. Die Hersteller des Systems
erwarten bis dahin 4,5 Millionen ausgegebene Karten, mit denen 1/3 aller
Abonnenten und ca. 25 Prozent aller Fahrten in der Bundesrepublik abgewickelt
werden. Das Konzept sei realistisch, die Technik funktionsfähig.
Aber sind die Menschen reif dafür? Die Aufgabe, hier mehr als nur
die notwendige Aufklärungsarbeit zu leisten, sollte kein Verbund,
kein Verkehrsunternehmen unterschätzen. Menschen wie Herrn Y wird
man aber nie damit überzeugen können. Die wissen noch, wer
Ray Bradbury war und kennen noch die Verfilmung seines berühmtesten
Romans mit Richard Burton.
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