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Manchmal sind Schätze Familiengeschichte

Anker für Erinnerungen an gelebtes Leben

Hunderte Eulenfiguren, Zuckerwürfel, ein Stamm-baum und ein Stück innerdeutscher Gitterzaun

Manche Schätze sind nicht einfach ein Ding, das man aufbewahrt hat um des Dinges selbst wegen, sondern weil Erinnerungen dran hängen, Erinnerungen an liebe Menschen, an einen Teil des eigenen Lebens. Solche Schätze sind Symbole für gelebtes Leben, Ankerpunkte fürs Denken und Fühlen.

Ernst-Walter Hug

Hall. Einst war Adolf Dörr Pfarrer in Geißelhardt im Mainhardter Wald, später in Neuenstein. Doch über dem Bett seines Einzimmerappartements am Badweg auf dem Diakgelände hängen auch noch Erinnerungen an seine Schulzeit, an Zeiten als "Architekt" noch Adolf Dörrs Berufswunsch war: eigen gefertigte Zeichnungen von Haller Motiven: die Pfarrgasse, der Rote Steg oder sein Elternhaus. Adolf Dörrs Vater war der letzte Schuhbäck am Beginn der unteren Herrngasse. Doch der Krieg änderte alle Architekturpläne. Aus Adolf Dörr wurde ein Pfarrer. Einer, der durch eine Minenexplosion ein Knalltrauma erlitt und später seinen Kindern nicht einmal Vogelstimmen erklären konnte, weil er sie nicht hörte. Also machte dies der Schwiegervater Karl Schließmann, der mit seinen Hohenloher Fruchtsäften nicht nur Unternehmer war, sonder auch ein große Naturfreund und Naturschützer. Er war es, der eines Tages einen toten Eulenvogel von einer Streuobstwiese mit nach Hause brachte. Der wurde ausgestopft und war dann Auslöser dafür, dass Adolf Dörrs Frau Gerda begann, Eulen zu sammeln, Figuren aus Keramik aus Holz, aus Granit, aus Norseemuscheln...
Auf mehrere hundert wuchs die Sammlung im Laufe der Zeit an. Sie wanderte mit, als das Paar aufgrund der Krankheit von Gerda Dörr in eine Zweizimmerwohnung des Pflegeheimes zog, sie wanderte mit als Adolf Dörr nach dem Tod seiner Frau im Dezember 2001 an seinem 80. Geburtstag im Monat darauf ein Haus weiter in sein jetziges Appartement zog. "Die haben mir das gezeigt, und ich habe schon alleine wegen dieser herrlichen Aussicht übers Kochertal sofort 'ja' gesagt. Jetzt zieren die Eulen in langer Reihe den Wohnzimmerschrank. Urlaubserinnerungen, Erinnerungen an seine Frau, deren Asthma wegen diese Reisen oft an die Nordsee oder ins Gebirge führten, auch in den Harz.
Dort war das Paar auch, als die Mauer fiel und Adolf Dörr schnitt sich eigenhändig ein Teil aus dem Gitterzaun nahe Wernigerode. Auch das ein Teil, das ihn mit seiner Vergangenheit verbindet, mit dem - ob gewollt oder nicht - lebensbestimmenden Teil am Ende seiner Jugend: dem Militärdienst im Krieg und das letztendliche Überwinden seiner Folgen
Zahlreiche Erinnerungen an seine Frau, deren Schließmannscher Stammbaum zusammen mit Bildern von Eltern, Geschwistern, Kindern und Enkeln eine ganze Wand des Dörr'schen Einzimmerappartements ziert, Erinnerungen an gemeinsame Reisen auch eine weitere Sammlung: Zuckerwürfel. "Sie hat gesammelt, ich hab's geordnet und katalogisiert", meint er. Zum Beispiel Daten und Orte aufgeschrieben. Vierzig Kilo Zuckerwürfel waren dass mal. Jetzt ist noch ein großer Bilderrahmen voll vorhanden. "Mehr konnte ich einfach nicht aufbewahren", meint Adolf Dörr. Zuckerwürfel von der Nordsee, von Cafés aller ostfriesischen Inseln - eine der Töchter wohnt heute im hohen Norden, in Oldenburg - aber auch Zuckerwürfel aus dem Schwarzwald findet man da, oder aus den Schweizer Alpen - dort wo die andere Tochter bei Beromünster südlich von Luzern lebt - und auch zwei ganz seltene Exemplare: Zuckerwürfel von der Krim, aus Jalta. "Mein Schwiegervater hat uns einmal, das ist jetzt auch schon über 30 Jahre her, eine Schiffsreise dorthin spendiert", erinnert sich Adolf Dörr an Genua, Athen, Istanbul, Odessa und Jalta, jenen geschichtsträchtigen Ort, an dem die Aufteilung der Welt nach dem 2. Weltkrieg beschlossen wurde. Ein paar Zuckerwürfel aus Sowjetzeiten, eingepackt in dünnes Papier, schmucklos, ohne Werbeaufdruck, aber handschriftlicher Aufschrift Jalta 1973: Ankersteine für Erinnerungen an gelebtes Leben.

 

 

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