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Kunst / Gespräch mit der Künstlerin in ihrer Ausstellung

Im Unwesentlichen das Eigentliche festhalten

Journographie, das gezeichnete Tagebuch der Stuttgarter Zeichnerin Friederike Groß

Was bleibt eigentlich am Ende eines Tages übrig, abseits von all den gar so wichtigen Ereignissen? Künstlerin Friederike Groß, vielen bekannt durch ihre Karikaturen und Illustrationen, versucht es festzuhalten in Zeichnungen. Täglich eine Zeichnung wie ein Tagebucheintrag: Journographie hat sie ihre Arbeiten getauft. Am Samstag war sie auf Einladung des Kunstvereins zu einem Gespräch in ihre Ausstellung in der Galerie am Markt gekommen

Ernst-Walter Hug

Hall. Seit Juli hängen die 120 Journographien in der Galerie. Und für manchen Betrachter hatten sich Fragen zu den kleinen Bildern ergeben, Gedanken, Überlegungen, wie wohl das eine oder andere "Titel", die eine oder andere beigefügte Textpassage gemeint war.
Doch entspricht eigentlich alles dem wirklichen Geschehen? Oder kommt Erfindung hinzu? Ist Kunst nicht auch eine Form der verbogenen Wirklichkeit? Und wird sie nicht gerade dadurch zur möglichen Wahrheit für den Betrachte? Peter Ege vom Vorstand des Haller Kunstvereins hatte die Künstlerin nun, wenige Wochen vor dem Ende der Ausstellung (die noch bis 15. Oktober zu sehen ist) zu einem Gesprächsnachmittag mit Interessierten eingeladen.

Friederike Groß im Gespräch mit Interessierten über ihre Journographien Foto: Hug

Mal vier, mal acht Personen folgten Friederike Groß, die dem Gesprächsfortgang entsprechend mal hierhin, mal dorthin, mal einer Fragestellung nachgebend durch ihre eigene Ausstellung zog, Erläuterungen gab, Gedanken ihrer Zuhörer ausbaute oder ergänzte und so einen erweiterten Zugang zu den vielen Zeichnungen schuf. Zeichnungen, die manchem Betrachter immer wiederkehrend ein Schmunzeln ins Gesicht zaubern oder zumindest im Hinterkopf aufblitzen lassen.
Wer denkt nicht an die TV-Werbung jenes großen Internetauktionshauses, wenn er eine Dame im geblümten Kleid vor gleich geblümter Tapete sieht?! Die Künstlerin: denn erstens versichert sie, den TV-Werbespot (dort ist's ein Junge mit gleichmustrigem T-Shirt) nicht zu kennen und zweitens hat sie ihr Bild schon 2004 gemalt. Gab's da den Spot schon? Oder hat gar einer der 'Kreativen' Friederike Groß' Journographieeintrag irgendwo gesehen?
Anlässe für ihre Zeichnungen waren nie die 'wichtigen' Dinge des Alltages. Doch was ist wichtig? Kann es nicht im Auge des Betrachters gerade dadurch wichtig werden, dass sie den Vorgang herausgreift? Das morgendliche Rühren in der Kaffeetasse, wird es nicht gerade dadurch, dass sie sich damit beschäftigt, wichtig? Der Locher, der weiße, unschuldig weiße Blätter markiert, wie der Schriftsteller durch das erste Wort, das er niederschreibt (nur um das Blatt aus der Maschine zu reißen und es als verdorben zu zerknüllen und im Papierkorb zu entsorgen. Friederike Groß malte hinter ihren Locher eine Person, die Löcher in die Luft starrt und schrieb, um des Betrachters Stimmung in eine Bahn zu lenken "Melancholie" dazu. Für sie kennzeichnete dies einen Tag. Einen wirklichen? Eigentlich unwichtig. Die Auswahl des Zeitabschnittes vom 8. Februar bis zum 5. Juni 2004 - jedes der 120 gleich großen Tagebuch-Bildchen trägt einen Tagesstempel - könnte genausogut eine andere sein, denn die wirklichen Tagesereignisse tauchen bildlich so gut wie nie auf. Aber genau dies ist auch der Sinn von Journographie: Niemand muss irgendwelche Alltagsgeschichten und Tagesabläufe der Künstlerin nachvollziehen, sondern kann sich seine eigenen -wie einen Gedankenfilm - beim Betrachten der Bildchen machen. Nur: ein Besuch in der Galerie am Markt reicht dazu nicht aus.

 

 

 

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