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Literaturtage / Roman 'Consummatus' in der Stadtbibliothek

Auch lesen ist eine Rolle

Schauspieler Hanns Zischler gab den männlichen Romanhelden Ralph Zimmermann

Eine Autorin, die einen männlichen Romanhelden erfindet, braucht einen männlichen Vorleser? Im Falle von Sibylle Lewitscharoffs Ralph Zimmermann war dies angebracht, denn für sie selbst gab's aus ihrem Roman "Consummatus" ja andere gewichtige Passagen zu lesen: die Totenstimmen

Ernst-Walter Hug

Im vergangenen Jahr noch stand Hanns Zischler mit dem neuen Bond-Darsteller Daniel Craig für Steven Spielberg vor der Kamera in dessen Drama über den 72er Palästinenser-Überfall auf die Olympischen Spiele von München. In diesem Jahr war der vielseitig Kreative (ihm das Etikett 'Multitalent' zu verpassen, mag er gar nicht) eher in ruhigeren Gefilden unterwegs, kein Mossad-Geheimdienst, keine Terroristen, nur Stimmen von toten Schauspielern und Musikern im Kopf: Jim Morrison, Andy Warhol, Edi Sedgwick. Er selbst als (Lese)-Rolle: Ralph Zimmermann, Gymnasiallehrer mit wilder Vergangenheit, mag Musik von Bach bis Bob Dylan (der bürgerlich ja auch Zimmermann heißt), sitzend im Café Rösler, das überall sein kann, auf jeder Bühne, an jedem Tisch, auf jedem Stuhl, wenn er nur vor Publikum steht. Hanns Zischler lässt es schon entstehen vor dem zuhörenden Auge des Lesungsbesuchers.

Schauspieler Hanns Zischler und Romanautorin Sibylle Lewitscharoff bei der Lesung in der Haller Stadtbibliothek. Foto: haku

Nicht dass diese das einzige wäre, was der 59-jährige Schauspieler, Dramaturg, Übersetzer, Buchautor, Kolummnist, Moderator Christoph Johann Zischler (wie er eigentlich heißt) in diesem Jahr gemacht hätte. Doch mit seiner Schriftstellerkollegin Sibylle Lewitscharoff war er in diesem Jahr schon einige Male auf Bühnen, in Cafe's, in Literarischen Gesellschaften unterwegs, um deren neues Buch "Consummatus" zu präsentieren. Moderation Hanns Zischler heißt es meist in den Ankündigungen. Doch was Hanns Zischler macht, ist mehr als Moderation. Er übernimmt zunächst mal die Rolle, die ihm Autorin Sibylle Lewitscharoff (gebürtige Stuttgaretrin) zugedacht hat. Und die hat in der erzählenden Rückschau eine sehr weltläufige Handlung: in New York, auf Tour mit seiner Geliebten Joey, einer frühen Gothik-Lady, und ihrer Band - und doch sitzt er, Ralph Hanns Zischler-Zimmermann doch nur in seinem samstagmorgendlichen Stammcafé Rösler im kleinkarierten Stuttgarter Teilort Degerloch, spaziert durch ein Schneegestöber, kehrt schließlich am Schluß des Buches in ein Weinhaus ein: Stets begleitet wird er dabei von der Bande seiner vertrauten Toten.
Hanns Zischler versteht es durchaus, den Zuhörer - warum eigentlich gibt's das noch nicht als Hörbuch? Kaum ein Buch böte sich dafür besser an - mit in die Szenerie schlüpfen zu lassen. Und doch ist er Schauspieler genug, als dass er nicht für kurze Sekunden aus der Rolle fallen könnte, um genervt einen Fotografen anzuschnauzen, der ihm von seiner Sitzposition aus höchsten aus dem Augenwinkel vier fünf Meter entfernt sichtbar sein kann, er möge sich doch endlich hinsetzen. Der Fotograf zieht es vor, die Veranstaltung zu verlassen. Hanns ist da aber schon längst wieder Ralph, der sich, die Hand am Kinn und unter der Nase anhört, was ihm seine tote Joey, Jim und Edie mit Sibylle Lewitscharoffs Stimme zuzuflüstern haben.

 

 

 

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