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Kunst / Doppelausstellung zum Thema Buch und Literaturzeile

Journographie gehört ins Lexikon

Künstlerin Friederike Groß setzt sich in Zeichnungen und Illustrationen mit dem Schreiben auseinander

"Zuflucht im Buche" ist die Ausstellung von Zeichnungen im Hällisch Fränkischen Museum unter dem Logo der Literaturtage Baden-Württemberg im Hällisch Fränkischen Museum. "Journografie" ist eine Art gezeichnetes Tagebuch aus 120 Bildern, das zeitgleich in der Galerie am Markt beim Kunstverein Schwäbisch Hall ausgestellt wird. Die Künstlerin: Friederike Groß aus Stuttgart

Ernst-Walter Hug

Schwäbisch Hall. Wir sind geneigt, Zeichnungen entweder als Illustration oder als Karrikatur zu begreifen. Doch was Friederike Groß zum Themenbereich "Buch" an Zeichnungen liefert, ist weder das eine noch das andere. Was sie mit Spitzer Feder und schwarzer Tusche teilweise durchaus ironisch und humorvoll auf Papier bannte war eigenständiger Beitrag in Sonderbeilagen der Stuttgarter Zeitung zur Frankfurter Buchmesse der Jahre 2000 und 2001, Wie ein Autor gab sie - nur eben zeichnerisch - ihrer Kommentare zum Thema Buch und Literaturbetrieb ab. Da sieht man den "Hans-Dampf-Autoren, dem nichts zusammengeht, sondern alles auseinanderfliegt, da sieht man den Menschen, dem sein Buch unter dem Titel "textnah" direkt vor die Nase gebunden ist wie das berühmte Brett vorm Kopf, nur eben gebunden und nicht genagelt, da sieht man Autoren die aus den Buchrücken ihrer Werke wie aus Fenstern heraushängen und dem geneigten Leser, der sich ein Buch aus dem Regal nimmt, zurufen:"Nimm mich, nimm mich!" Einer gar beschränkt sich nicht aufs Rufen, zupft den geplagten Menschen am Kittel.

Friederike Groß vor einer ihrer Zeichnungen im HFM Foto:haku

Das Plakattitelbild zu Ausstellung, eine Frau mitten unter menschengroßen Pralinen sitzend, taucht wieder auf in der zweiten Ausstellung "Jourographie" als einer der gezeichneten Tagebucheinträge. Was bleibt vom Tage? Das war die Fragestellung, der sich die Künstlerin stellte. Es sind nicht die Schlagzeilen, nicht die großen Ereignisse, sondern oft in deren Kontext erlebte persönliche Dinge. Die Pralinen waren wohl ein Tag, in dem sich die "Journographin" ihre Zuflucht nicht im Buche sondern in Süßigkeiten suchte. Der Tag darauf zeigte sich als derjenige, in dem Gedanken und Projekte durch die Begleitung von Musik eine neue Ordnung fanden, und wieder der nächste stellt die Kollegen Journalisten dar als Tischfußballfiguren, die sich nur fremdgesteuert bewegen. Denkt da die Journographin: "Ach was bin ich froh, selbstständige freie Künstlerin zu sein!" ?
Die Auswahl des Zeitabschnittes vom 8. Bebruar bis zum 5. Juni 2004 - jedes der 120 gleichgroßen Tagebuch-Bildchen trägt einen Tagesstempel - könnte genausogut eine andere sein, denn die wirklichen Tagesereignisse tauchen bildlich so gut wie nie auf. Es ist, so die Stuttgarter Professorin Dr. Hannelore Schlaffer in ihrer Laudatio, wie das Auftauchen von Traumbildern im Schlaf, durch die wir den Alltag verartbeiten, durch die wir lernen unsere Umwelt für uns zu verstehbar zu machen. Auch da sehen wir oft Dinge, die so nicht zusammengehören, sich in der Traumwelt aber dennoch als stimmig erweisen. Bilder sind mehr noch als Sprache (die in den Zeichnungen durchaus auch vorkommt) auslegungsbedürftig, mehr noch, auch auslegungsfähig. Ob in der so herausgeforderten Interpretation auch die übermittelte Botschaft genau so rüber kommt, wie sie eingegeben wurde (enthält ein geschriebener Tagebucheintrag wirklich die Gefühle, unter deren Bedingungen er geschrieben wurde?) ist in der Journographie eigentlich so zweitrangig wie das aufgestempelte Datum, ist bloß der Versuch, eine rationale Ordnung in die Welt der Traumdatenbank zu bekommen. Von dort aus gesehen ist solche Ordnung aber etwas eher Fiktives, eineSekunden, Minuten, Stunden eine Erfindung, wie Wochen, Monate oder Jahreszahlen. Eine Erfindung von Friederike Groß auch die Wortschöpfung "Journographie". Ein Wort, das - so Prof. Dr. Hannelore Schlaffer - eigentlich ins Lexikon, in den Duden gehört.

Info:
Die beiden Ausstellungen im HFM und in der Galerie am Markt sind zu sehen bis zum 15. Oktober. Im HFM: Di bis So jeweils 10 bis 17 Uhr. In der Galerie: Mi bis Fr 14 bis 17 Uhr, Sa und So 11 bis 17 Uhr. An Freilichtspieltagen bis 20 Uhr

 

 

 

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