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Kreis Kugel Kosmos und die innere Welt
Eine Reise durch andere Zeitläufe vom "Hier" nach "Jetzt"

Ernst-Walter Hug

Zu einer kosmischen Reise "Sternengucker und Himmelsreiter" hatte die Kunsthalle Würth Kinder auf den Spuren eines Astronomen im 17. Jahrhundert eingeladen. Weltraum, Sterne, das hat auch mich als Kind schon fasziniert, seit ich auf Papas Arm sitzend mit ihm im kühlen, herbstlichen Garten stehend dem schnell über den Himmel ziehenden Leuchtpunkt nachstarrte: Sputnik. Ein Gedankenecho, das mir bei meiner Ankunft im "Kreis Kugel Kosmos" durch den Kopf zuckt. . Jetzt 49 Jahre, 35 Wochen, 2 Tage 7 Stunden und 24 Minuten später – genaue Zeitangaben sind sehr wichtig bei Reisen im Universum, sonst kann man sich im Weltall verirren – habe ich endlich Gelegenheit, dorthin zu kommen, wenn auch nur in einen "künstlichen" Kosmos.
Immerhin: ich bin im 21. Jahrhundert, meine eigne Reise wird bestimmt schneller als die von Kindern mit einem 350 Jahre alten Sterngucker, vielleicht schneller als das Licht. Bin bestens ausgerüstet, für eine fantastische Reise in unbekannte Gefilde: mit einem alten 1981er Buchkalender im schwarzen Lederimitat als Recycling-Notizbuch und einem "altmodischer" Füllfederhalter.

Ein schwarzes Tor versperrt mir den Weg ins Unendliche. Doch es lässt sich leicht öffnen. Konzentrische bunte Kreise nehmen mich gefangen, ziehen mich hinein, geradeso, wie man sich eine überlichtschnelle Reise vorstellt. Doch wohin soll ich mich wenden. Wo falle ich heraus aus dem "Slipstream"? Links, wo eine kreisrunde Farbexplosion aufleuchtet? Künstler Damian Hurd nennt sein Bild den "explodierenden Schildkröten-Nebel". Oder rechts, wo eine Serie von Schwarzweißbildern hängt, die von Weitem aussehen wie alte Erdenfotos eines noch älteren Satelliten? Es ist aber der Künstler Günter Brus, der auf einem kreisförmig ausgeschnittenen Tuch arbeitet und sich dabei fotografisch ablichtet: Wie ein Arbeiter im All, wo man arbeiten spazierengehen nennt.
Weltraumschrott kreuzt meine Bahn auf dem Weg durch den musealen Kosmos. Ein Steinhaufen? Steinplatten, dem Panzer einer Schildkröte gleich. Ein Echo des explodierenden Nebels.

Weiter, leerer Raum – einmal angestoßen geht’s immer geradeaus, hin zu einer scheibenförmigen Anhäufung von Asteroiden, die jemand in eine gemeinsame Umlaufbahn gebracht hat. Richard Long war’s, ein Vertreter der LandArt. Einmal umkreise ich das Gebilde, diesen "keltischen Planeten", ignoriere auf meinem parabolischen Umlauf all die anderen Reisenden, die ganz von meiner verschiedene Bahnen ziehen, andere Gedanken denken. Ich verringere mein Energielevel, steige hinab zu den Quellen, wo die Neutronen singen. Geräusche im Kosmos. Jeder Radioastronom weiß, dass sie den Weg weisen zu Sternen, zu schwarzen Löchern und anderen unerforschten Singularitäten im weiten All.
"Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann", schreibt Francis Picabia, der von 1879 bis 1953 lebte. Steht da einfach an der Wand des musealen Kosmos. Von Raumfahrt kannte dieser kubanische Franzose nichts. Die gab’s damals nur in den Köpfen: von Jules Vernes, von Fantasy-Schreibern wie Doc E. Smith oder von Wissenschaftlern wie Wernher von Braun. Der hat zwar Hitlers Angriffsraketen gebaut, aber stets Raumfahrt im Kopf gehabt. Die "Atlas Centauri" und die "Saturn V" haben ihm schließlich seinen Traum erfüllt.
Mir begegnet ein silbrig glänzender Meteor, der aussieht wie ein Gehirn, zerfurcht, in sich verschlungen: John Chamberlain hat ihn in seiner "Crash Aluminium" Serie 1973 erschaffen. "Huschshsh" – vorbei.

Ich nähere mich der Quelle des kosmischen Lärms. Sound aus der Vergangenheit. Videoübertragung eines Spiels um den berühmten Ball. Immer dieselbe Sequenz. Zeitfalle Fußball. Schnell tangential daran vorbei, hinein in eine noch fernere Vergangenheit. Ist das diejenige, von der aus die Kinder gestartet sind? 17. Jahrhundert?
Die Bilder sind entsprechend. Zunächst völlig deplaziert im weiten Kosmos. Bin ich wie der Held am seltsamen Ende von Stanley Kubricks Epos "2001" – warum eigentlich erwähnt man nie den auf Ceylon lebenden Briten Arthur C. Clarke, der die 2001-Geschichte geschrieben hat? – als der Weltraumfahrer sich in einem barocken Schlafzimmer wiederfindet? In einer Welt, himmelweit weg vom Weltraum und dem HAL-Computer. Man verschiebe jeden Buchstaben HALs im Alphabet um eine Stelle weiter... Genau so daneben wirkt dieser Teil des Kosmos, wären da nur nicht die fantastischen Kugelformen in den Bildern. Zeitblasen mit der altbackenen Szenerie konfrontiert in Werner Tübkes "Frühbürgerliche Revolution Deutschland, Tafel 4: Große Wiese". Wie war das? Der Kopf ist rund, damit er um die Ecke denken kann?
Das All wird dunkler, die Zeiten finsterer und früher, sehr viel früher: altes Ägypten, 26. Dynastie. Es grüßt mich die Maske von "Ta-sherit-en-Hor". Fans von Schauspieler Richard Dean Anderson oder Regisseur Roland Emmerich wissen schon, wo ich hin denke, bei diesem Namen. "Goa’uld!" kreischt ein Schrei aus dem Stargate. Doch nein, hier gibt es kein Gate. Nur ein Bild, das ähnlich blau schimmert wie die Oberfläche eines Ereignishorizonts und Wege zurück in die wirkliche Welt erahnen lässt. Es ist ein Roy Lichtenstein, nennt sich "Moonscape" und entstand 1965, vier lange Jahre bevor wirklich ein Mensch seinen Fuß dorthin setzte, wo Kennedy, John F., prohezeite, dass noch vor Ende jenes Jahrzehnts es geschehen werde.
Ich lasse mich hindurchziehen durch das Tor. Dunkler werden die Zeiten, antiker. Ttief drunten in rotsamtener Düsternis leuchtet das Rad der Zeit aus dem fernen Indien. "Shiva Nataraja im Flammenkranz", ein religiöses Gebilde aus Bronze, entstanden im...:...19. Jahrhundert! Die Realität ist nahe, selbst hier im tiefsten "Unten" des Alls.
Waren nicht auch in Kubricks Film-Vision schwebende Ziffernblätter zu sehen? Ich erinnere mich nicht genau. Hier sind’s ganze Uhren, Modell Tischuhr 1931 oder der designte Wecker, ein Weltron 2501. Kunststoff und Elektronik unter Glas wird zur Kunst. "Kreisläufe der Zeit" verkündet eine Tafel. Erklärt, dass die Geometrie des Kreises in nahezu allen Kulturen prägend sei für die Vorstellung von Zeit. Werde auch ich wieder sein? Wird mich das All von Kreis Kugel Kosmos wieder entlassen?
Es ist ein langer Flug zurück, vorbei an Monden – ist das der unsrige?, der von der Erde? – vorbei an schwarzen Planeten, der Finsternis der Sonne, hin zu neuen kosmischen Gesängen: Quadrophonie.
Welche Kräfte nur halten den spiegelnden Tropfen Zeit im weißen All? "Ich fürchte mich", sagte eine flüsternde Stimme, untermalt vom tiefen, rollenden Atem des Universums. Tausend und eine Sekunde lang. So heißt auch die Installation von Angelika Middendorf.
"Furchtbar, furchtbar", höre ich einen Zeitreisenden sagen, der mit mir den Raum verlässt. Ein Herr aus Nürnberg, Aber den Tropfen aus Zeit meinte er gar nicht mit seiner Kritik. Er findet Kunst und Museum toll, sagt er, während wir das Universum verlassen. Hall, erzählt er von einer anderen Zeitreise, entdeckte er radelnd, nach dem Krieg. Heute feiert er den 80sten Geburtstag im Städtchen, das dort hinterm schwarzen Tor wartet.
Die Schwärze schwingt auf, das Tor – es ist nicht dasselbe, das mich eingesogen hat – entlässt mich in die Realität. Irgendwo piepst ein Armbandwecker oder ein Handy: bi bi bip, wie einst der Sputnik. "Papa, bist du da irgendwo?"
Info
Kreis Kugel Kosmos
Die Staatlichen Museen zu Berlin zu Gast in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall. Zu sehen ist die Ausstellung noch bis zum 22. Juli. 2007. Spezielle Führungen für Kinder gibt es jeweils am ersten Samstag im Monat von 11 bis 12 Uhr, also nochmals am 2. Juni und am 7. Juli. und für Eltern mit ihren Kindern nochmals am 15. Juli von 15.30 bis 16.30 Uhr. Außrdem bietet die Kunsthalle einen Tagesworkshop für Kinder von sechs bis dreizehn Jahren zum Thema "Eine runde Sache" am Samstag 12, Mai von 13 bis 17 Uhr. Anmeldung erforderlich!

 

 

 

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