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Musik / Freunde treffen, in Erinnerungen schwelgen, abtanzen

Kopfreise in die Vergangenheit

Zwei Tage 70er-Festival in der Arena Ilshofen

Zweimal ausverkauft war die Arena Ilshofen am Wochenende. Radio Ton, Marktführer der Privatradios im Land hatte mit den Zeitungen der Region als Partner Weltstars der 70er und die besten Coverbands der Region zusammengebracht: Boney M., Harpo und Soul Sista am Freitag und am Samstag Gonzo’n’Friends, Racey und Manfred Mann’s Earthband.

Ernst-Walter Hug

Ilshofen. "Kann man als alter Knacker noch auf ein Festival gehen?" Der Gedanke treibt einen schon um, bevor man sich Tickets kauft - im Internet, wie die jungen Leute heute. Also doch noch nicht ganz "altes Eisen".
Und dann trifft man in der Arena doch den einen oder anderen Bekannten aus alten Tagen. Hemme zum Beispiel, mit dem ich manche Nacht in Crailsheims "New Yorker" zugebracht habe, und Gitti, mit der ich damals, wo war das noch?, irgendwo am Rhein ein Wochenende lang beim Open Air im Zelt... "Hi Gitti." "Wie geht’s?" "Danke auch schlecht." "Was machst’n jetzt?" " Immer noch n’ bisschen flippy, mal hier mal da" "Man sieht’s. Brutal, deine Haare. Länger als damals. Sind die echt?"
Aber hallo, sowas von echt! Nur etwas lichter. Frisch gewaschen und etwas aufgeföhnt gehen sie aber immer noch als Mähne durch. Gebt mir ‘ne Tanzfläche und ich zeig’ euch, wie die fliegen. Nur: richtig tanzen, das geht hier nicht. Zu eng stehen die Leute direkt vor der Bühne. Und weiter hinten zwischen PA und den Bars links und rechts, da fühlen sich die andern sicher gestört. Allenfalls eng zusammen hin- und her schwankend geht das. "Stehblues" haben wir das genannt, damals. Braucht man aber die richtige Partnerin dazu: so wie die zwei da drüben. Lippen betonte Gefühlsmenschen: küssen, trinken aus der Flasche, küssen, lange...

Wir waren an beiden Tagen ausverkauft. Ich bin glücklich und froh, dass wir mit diesem Event hier heraus in aufs Land gekommen sind. Die Halle ist fantastisch. Ich möchte mich auch bei allen Partnern und Helfern bedanken, Polizei, DRK und Feuerwehr, die im Hintergrund einen tollen Job machen. Überhaupt bin ich sehr angetan von der aktiven Unterstützung, die wir hier erfahren haben. Das hat uns, wenn ich diese leise Kritik anbringen darf, im Vergleich mit Veranstaltungen im städtischen Umfeld sehr gut getan. Wir sind hier mit 30 eigenen Mitarbeitern und 52 in den Gastro-Teams präsent. Auch sie haben einen fantastischen Job gemacht. Vielen Dank.

Christine Rupp (42) Geschäftsführerin Radio Ton

Sind die nicht ein wenig jung? Die haben die 70er sicher nicht live gesehen. Soll ich sie mal fragen?
Erstaunte Blicke, dass sie da ein wildfremder Langhaariger anspricht. "Was willst ‘’denn?" Zu verstehen ist bei der Lautstärke der Musik nichts, wenn man nicht schreit und den Leuten nahe ans Ohr rückt...
Mir scheint die Musik bei Gonzo’n’Friends lauter zu sein als Tags zuvor bei Soul Sista, Boney M. und Harpo - oh, der kam übrigens nicht barfuß auf die Bühne, wie sonst immer. In Schweden hätte es noch sechs Grade minus gehabt, entschuldigt er sich. In der Arena sind’s mindestens 30 Grad: die vielen Leute, hitzige Bewegungen, tanzende, nein hüpfende Massen, die Ränge hinauf bis fast unters Dach.
"Ihr habt die 70er doch sicher nicht selbst erlebt?"
Sie verneint. "Ich schon", schreit er zurück. "Bin ‘79 geboren."
Musikpause. Die Menge hat Gonzo endlich gehen lassen. "Und was treibt Euch aufs Festival?"
Sie lacht: "wir sind mit meiner Mama hier. Sie wollte nicht alleine. Mein Papa ist in der Beziehung ein Kühlschrank..."
"Daddy, Daddy cool", geht mir ein Ohrwurm von Boney M. durch den Kopf... "Und jetzt ist sie doch alleine", ergänzt der Schwiegersohn. "Irgendwo da vorne in der Menge vor der Bühne." Racey ist dort jetzt zugange: "Come on Babe, take your love on me", singen die Plastik-Musiker - Sorry Jungs, aber die Musik die ihr macht, ist die genaue Fortsetzung von Bubblegum-Music der Endsechziger "Yummie, yummie, yummie..." Partymusik halt.
Nur die Parties heute sind anders. Irgendwie merken das auch die Leute. Die Jungs in ihren Hawai-Hemden – drunter rote Radio-Ton-T-Shirts, wie man wenig später sieht – kühlen die Stimmung merklich ab. Nicht das Racey Stimmungskiller wären: es gibt immer noch genügend winkende Arme und klatschende Hände, man kennt die Songs von damals ja, aber eigentlich könnte man statt dieser Band auch ein Band laufen lassen. Ach so. Tonbänder benutzt heute kaum noch einer. Ich hab noch einige 18er-Spulen zu Hause, voll mit Musik von damals. Boney M., Harpo und Racey sind da aber nicht dabei, schon eher die Songs, die Gonzo vorhin und Soul Sista tags zuvor gecovert haben. Racey versucht’s auch mit alten Rock’n’Roll-Nummern und – Brian Wilson, der demnächst zum Open Air nach Künzelsau kommt, würde sich im Grab umdrehen, wenn er schon drin läge – alten Beach Boys Nummern: Surfin’ U.S.A... grauslich. Da muss ich doch draußen vor der Arena ein wenig Luft schnappen.
Die Erholung tut auch den Ohren gut. Die werden morgen wieder "klingeln"... wie früher nach einer durchgemachten Nacht im Club. "Hallo", nicke ich einem vielleicht 60-Jährigen im lachsfarbenen Jacket zu. "Sie sind doch..."
"Ja, aber sagen Sie’s nicht weiter," meint er, gibt mir die Hand und entschwindet dann die Treppe hinauf in den VIP-Bereich. "Aber irgend jemand hat es doch weiter gesagt, denn in der Umbaupause verkünden es die Radio-TON-Moderatoren Sarah Mayer und Uli Dier von der Bühne: "Percy Stuart ist hier, der Fernsehheld der 60er und 70er." Klaus Wilke heißt er bürgerlich, ist Schauspieler und wohnt hier im Hohenlohischen. Im Nachbardorf wohnen die Radio-Ton-Chefin und ihr Mann und natürlich sind sie gute Bekannte.
"Spirits in the Night" dröhnt es von vorne. Die Holztribühne in der Arena vibriert. 67 ist Manfred Mann, fast Rentenalter. Aber er und seine Jungs haben’s noch drauf: harte Beats, exakte Gitarrenriffs, etwas soßige Organ, dröhnender Bass, der den Bauch vibrieren lässt: "Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist"...Ach nein, andere Baustelle, anderer Schauspieler, anderes Jahrzehnt. Kopfreise durch die Zeit... All die Bands, die ich gehört und gesehen habe. Wir sind weit herumgekommen, per Anhalter, später mit dem eigenen VW-Campingbus, nur um irgendwelche Bands zu sehen. Nein, nicht irgendwelche: Die Kinks in München, Jimi Hendrix 69 in Stuttgart, Yes 1970 in Londons Albert Hall, Uriah Heep in Ellwangen, als sie noch nicht berühmt waren, Genesis in Holland, Curved Air in (Kingston upon) Hull, Pink Floyd in... , war das in Hockenheim? Da hätte ich vorhin eigentlich Gitti fragen können. Manfred Mann’s Earthband war da, bei irgendeinem dieser Open Air Festivals auch mal dabei...Verschwommenes Deja Vu.
"Blinded by the Light" und morgen kein Gehör mehr. Die Earthband ist bestimmt doppelt so laut wie die "Boygroup" Racey zuvor. Aber so muss das sein. Aufbrausender Beifall für das Solo, begeistert durch die Finger pfeifen, schön gellend laut. Ja, genau das ist es: das Gefühl von früher, 70er-Jahre, als wir noch jung waren.

 

 

 

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