eMail an editor

Aktuell Archiv Extra

 

Kunst Historie und viele Sprachen

Integrationsbüro organisierte Stadtführung für Migraten

"Meine Frau kommt aus Thailand und geht als erste in den Schatten", sagt Sigvard Gessinger oben an der Treppe und grinst und setzt sich demonstrativ außerhalb des Baumschattens in die Sonne. "Sie wird wissen warum?", meint sein Sitznachbar auf der Mauer, wie Gessingers Teilnehmer eines Stadtrundganges speziell für Migranten, den das Integrationsbüro im Haller Landratsamt organisiert hat.

Ernst-Walter Hug

Hall. Die meisten Besucher des "Integrationscafés" des Landratsamtes leben schon einige Jahre im Landkreis Schwäbisch Hall, viele davon sogar direkt im Stadtgebiet. Doch kaum einer hat bisher eine Stadtführung mitgemacht. "Das war schon lange ein Traum gewesen", bedankt sich Raisa Siris am Ende der Führung auf der Ritters- oder auch Henkersbrücke bei Stadtführerin Maria Candido-Müller. Sie war eine der eifrigsten Nachfragerinnen bei der Stadtführerin, "weil ich mich sehr für Historie und Kunst interessiere", erklärt Raisa und holt auch einen Prospekt von Schwäbisch Hall aus ihrer Tasche, einen Flyer über die Skulpturen in Hall. "Das da hat mich besonders beeindruckt, sagt sie und deutet auf das Bild einer Skulptur, die einst beim Handwerkerbrunnen in der Gelbinger Gasse stand und heute einen Platz hinter der Johanniterkirche gefunden hat: ein Kalksteinquader, der zu einem handlichen Meterpaket zusammengepresste Menschenkörper darstellt. "Das müsste jeder sehen, der mit Menschen zu tun hat, mit Kindererziehung, dass man so nicht mit Menschen umgehen darf", sagt sie und erinnert sich wohl an eigene Erfahrungen früherer Zeiten. Dr. Irina Kirillova, die teilweise übersetzt hat, sagt es zwar nicht, aber man sieht’s am Gesichtsausdruck, dass Raisa ihr wohl etwas Derartiges auf russisch gesagt hat.

Irina ist schon seit fünf Jahren in Hall. Eine Stadtführung hat sie aber auch noch nie mitgemacht. Aber natürlich kennt sie schon vieles. Sie ist mit ihrer Freundin Larissa hier, die in Bühlertann wohnt und der sie Hall gerne näher bringen möchte. "Warum ist Bühlertann mehrheitlich katholisch und Hall protestantisch?", fragt sie, während Stadtführerin Maria Candido-Müller von Johannes Brenz erzählt. "Weil Bühlertann Besitz des Klosters Ellwangen war", wird ihr erklärt. Larissa Sergeev ist wie Irina Lehrerin, Irina für russisch, Larissa für Deutsch, Deutsch als Fremdsprache. Eigentlich könnten die beiden ja gemeinsam eine Schule aufmachen, sagt jemand aus der Runde. Irina Kirillova meint dazu, dass sie Schuiile eigentlich nur als staatliche Struktur kenne und erlebt habe, glaubt nicht dass das überhaupt gehe- Doch Lydia Gabriel vom Integrationsbüro, die die Gruppe begleitet, widerspricht. "In Deutschland muss man vom Denken in staatlichen Strukturen einfach abkommen und selber tun" Die Gruppe geht durch die Obere und untere Herrngasse, bewundert die herrschaftlichen Häuser der einstigen Ratsmitglieder, Wein- und Salzhändler.
Für viele Migranten, vor allem aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ist das "weg vom Staat" der in allen Lebenslagen für einen sorgt, ein nur schwer nachvollziehbarer Denkschritt, wenn man zuvor ein Leben lang nichts anderes kannte. "Deshalb fasziniert mich die Geschichte der Salzherstellung und der Handel damit auch sehr, das war zuerst Staat oder König und dann privates Geschäft der Leute aus der Stadt" meint Olga Menzemer, die sehr gut englisch mit deutlich amerikanischem Akzent spricht und sich von ihrem Mann Markus vieles übersetzen lässt, was die Stadtführerin erzählt. Sie ist erst seit vier Monaten in Deutschland und macht derzeit einen Sprachkurs. "Verstehen kann ich schon viel", meint sie (auf englisch), aber (auf deutsch) "sprechen geht noch nicht sehr gut."
Mit der Zeit geht es umgekehrt, dann verlernt man sogar bestimmte Dinge seiner Muttersprache meint dazu Irina, die manchmal schon auf deutsch träumt. "Alpträume", meint ihre Freundin Larissa, "wenn ich im Traum etwas auf Deutsch sagen will und ich kann es nicht" Und Lydia Gabriel, die schon seit 27 Jahren in Deutschland ist, ergänzt. "manchmal, da habe ich schon richtige Lücken. Ich will etwas auf Russisch sagen, ich weiß, dass ich es weiß, aber mir kommt das Wort nicht über die Zunge.

Es sind vor allem die alltäglichen Dinge, die man zuerst vom Hören lernt", sagt auch Eduard Schlothauer" und betrachtet etwas abseits der Gruppe den Brunnen am Torturm des Roten Steges. "Ich finde es sehr schön, dass es in Schwäbisch Hall so viele Brunnen gibt, meint er. Seit knapp fünf Jahren ist er jetzt in der Gegend, Dreieinhalb Jahre wohnte er mit seiner Frau in Michelbach, ganz am Rande des Dorfes. "Das war mir zu abgeschieden. Er nimmt mit seiner Frau Valentina an der Stadtführung teil. Doch man hat das Gefühl, es geht ihm zu schnell, was gesprochen wiord. "Meine Kinder, Natalja und Wladimir, die sind hier verheiratet, die können schon ganz gut Deutsch, sagt er. Was ich nicht verstehe, das frage ich Frau Gabriel. Die weiß alles über Schwäbisch Hall.
Auch wo er, die Gruppe geht unterhalb der Kunsthalle die Mauerstraße entlang, vielleicht im Herbst seine Bilder ausstellen kann. Denn Eduard ist Künstler, Maler und Dichter. "Über 150 Gedichte habe ich schon geschrieben", sagt er. Manche sind auch veröffentlicht worden. Eines vor nicht all zu langer Zeit hier in Deutschland in einer Zeitschrift, die auf russisch erscheint. Sie heißt Radoga." Es ist nur schwer, Gedichte zu übersetzen", bedauert er. Doch nicht nur Dichter und Maler ist Eduard, auch ein begabter Handwerker: "Ich habe alle meine Möbel einst selber gebaut, in Russland. Und auch jetzt mache ich noch sehr viel mit meinen eigenen Händen. Die Rahmen zu meinen Bildern zum Beispiel"
Es sind vorwiegend Spätaussiedler aus Russland, die an der Führung teilnehmen. Und einige wenige andere: Vinh der Vietnamese zum Beispiel, und Thippaya aus Thailand, die 2006 auf dem Haller Rathaus den Haller Sigvard Gessinger geheiratet hat. Er ist einer der wenigen Einheimischen, die an diesem Stadtrundgang für Migranten teilnimmt. Beim Integrationsbüro des Haller Klandratsamtes hatte man insgeheim mit mehr Hallern gerechnet, dass bei diesem Rundgang denn es werden noch weitere Ehrenamtliche gesucht, die mit Migranten ein "Tandem" bilden wollen, um diesen den Integrationsprozess zu erleichtern. Und dabei geht es nicht nur um Sprache.

 

 

©  product verlag img.eMaileMail an Redaktion