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Geschichte / Haller Sportlehrer als doppelseitiges Beispiel in Schulbuch "Zeit für Geschichte" Es müssen nicht immer Promis sein Klaus Reichert kam nach Ausreiseantrag 1984 aus der DDR mit seiner Familie in den Westen Im Haller Landkreis wird das Geschichtsbuch "Zeit für Geschichte, Band 4" nur an wenigen Schulen verwendet. Doch zum einen hat daran der Haller Geschichtslehrer Herbert Kohl mitgearbeitet, zum andern sind dort dem Haller Sportlehrer Klaus Reichert zwei ganze Seiten gewidmet - Stichwort: DDR-Dissident. Ernst-Walter Hug
Schwäbisch Hall. Ursprünglich sollte die persönliche Geschichte des Haller Sportlehrers Klaus Reichert der Geschichte eines prominenten Dissidenten wie Wolf Biermann gegenüber gestellt werden. Doch es müssen ja nicht immer Promis sein: Biermanns Seite wurde gestrichen, Klaus Reicherts Geschichte bekam eine Doppelseite im Buch.
Anfangs wusste Klaus Reichert gar nicht, weshalb staatliche Entscheidungen ihn schon als Schüler immer wieder so trafen, dass er ein wenig aufmüpfiger wurde als andere Jugendliche. Denn seine Mutter hatte ihm nicht gesagt, dass sein von ihr geschiedener Vater sich schon Anfang der 50er in den Westen absetzte. Wer aber "Westverwandschaft ersten Grades" hatte, stand in der DDR unter "besonderer Beobachtung". Reicherts Verhältnis zur Staatsmacht schaukelte sich von Aufmüpfigkeit und Schikane, über Provokation und Drohung auf bis zum Ausreiseantrag, Jobverlust, Verhaftung und schließlich Ausreise im Jahr 1984. Ob er einkaufen ging oder mit der ganzen Familie an einem HO-Hotel Eis essen war, jeder Schritt, den er machte, wurde damals in seiner schließlich 630 Seiten dicken Stasi Akte vermerkt unter dem sinnigen Decknamen "Delphin" - Klaus Reichert war als diplomierter Sportlehrer Schwimmtrainer bei einem Club in Magdeburg und später Sportlehrer am Gymnasium in Suhl.
Auch im Schuldienst in Suhl gingen die Schikanen weiter, bis er schließlich 1983 einen Ausreiseantrag stellte. Und den verfolgte er aktiv, trotz weiterer Schikanen - so wurde ihm etwa ein Autounfall mit Fahrerflucht unterstellt, obwohl er nachweisen konnte, dass er zum fraglichen Zeitpunkt woanders war, es zum fraglichen Zeitpunkt an besagter Stelle gar keinen Unfall gegeben hatte, und auch sein Auto keinen Schaden aufwies, ganz abgesehen davon, dass man einen solchen Schaden in der damaligem DDR innerhalb von wenigen Stunden hätte gar nicht beseitigen können, schon allein, weil die dazu benötigten Materialien nicht zu beschaffen gewesen wären. Schließlich wurde er verhaftet und einem 27 Stunden andauernden Verhör unterzogen. Und natürlich waren ihm seine Arbeit an der Schule, und seiner Frau der Job als Wirtschafterin an einer Klinik gekündigt worden. Er schlug sich als Lkw-Fahrer, Waldarbeiter und sogar als Mesner einer Kirche durch, wobei letzteres ihn nur noch verdächtiger machte. Nach einem dreiviertel Jahr schließlich durfte die Familie ausreisen. Über Schorndorf, Stuttgart, wo seine Frau in einem kirchlichen Heim als Wirtschafterin Arbeit fand, und Sindelfingen, wo er in den Schuldienst aufgenommen wurde, fand die Familie in Baden-Württemberg einen Neuanfang. Viel hat sich verändert seitdem: Klaus Reichert wohnt - nach einer Zwischenstation in Bühlertann - mittlerweile mit seiner zweiten Frau in Schwäbisch Hall, fand eine Stelle am Erasmus Widmann Gymnasium. |
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